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Kontra Öko-Test: Vitamin-D-Einnahme im Winter sinnvoll
In ihrer Dezember-Ausgabe 2018 warnt die Zeitschrift Öko-Test unter der Überschrift “Lieber in die Sonne” vor Vitamin-D-Präparaten: Viele dieser Nahrungsergänzungsmittel (insbesondere aus Drogeriemärkten und Internet) seien überdosiert, wiesen zum Teil Deklarationsmängel oder schädliche Zusatzstoffe auf. Allein die fünf getesteten Vitamin-D-Medikamente (aus Apotheken) schlossen mit sehr guten und guten Noten ab. Ein Hinweis auf die grundsätzliche Problematik von Nahrungsergänzungsmitteln, die ja ohne behördliche Prüfung von Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit auf den Markt kommen, da sie aus rechtlicher Sicht Lebensmittel sind. Doch leider beließen es die Öko-Tester nicht bei diesem Befund, sondern schlussfolgerten reißerisch und gegen alle Erkenntnisse der Wissenschaft, eine Vitamin-D-Supplementierung sei generell in den meisten Fällen überflüssig und sogar gesundheitsschädigend.
Dies entspricht keineswegs dem aktuellen Wissensstand. Zirka 80 bis 90 Prozent des Vitamin-D-Bedarfs synthetisieren wir Menschen unter Einwirkung von Sonnenlicht (UVB-Strahlung) über die Haut und nur etwa 10 bis 20 Prozent nehmen wir über die Nahrung auf, vor allem über fetthaltigen Fisch und Fischöl. Ideal für den körpereigenen Aufbau von Vitamin‑D wären tägliche kurze (einige Minuten) Sonnenbäder des (komplett) entblößten Körpers in der Mittagszeit – ohne Sonnenschutzmittel, die die körpereigene Vitamin-D-Produktion blockieren. Dies könnte allerdings im Hinblick auf Hautkrebs problematisch sein und ist in unseren Breiten insbesondere zwischen Oktober und Mai, also im überwiegenden Teil des Jahres, ohnehin nicht zu realisieren. Da die Aufnahme von Vitamin D über die normale Nahrung kaum steigerbar ist, bietet sich bei festgestelltem Vitamin-D-Mangel meiner Ansicht nach als wirksame Alternative nur eine orale Supplementierung an.
Denn selbst Wissenschaftler, die der Gabe von Vitaminen und Míkronährstoffen grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, stufen Vitamin D als potenziellen Mangel-Nährstoff ein und empfehlen folgenden Risikogruppen die kontrollierte Einnahme:
• Menschen jenseits des 60. Lebensjahres, die auf Grund ihres Alters Vitamin D schlechter über die Haut bilden
• Übergewichtige und adipöse Menschen, die Vitamin D vermehrt im Fettgewebe ablagern
• Säuglinge und Kinder
• Menschen, die sich etwa auf Grund ihres Berufs vorwiegend in geschlossenen Räumen aufhalten und deshalb selbst im Sommer kein ausreichendes D‑Depot aufbauen
• Dunkelhäutige Menschen, die gegenüber Hellhäutigen ein Vielfaches der UVB-Strahlung für die Vitamin-D-Synthese benötigen
• Patienten mit Darmkrankheiten, die eine gestörte Vitamin-D-Resorption aufweisen, oder mit chronischen Leber- oder Nierenerkrankungen
• Menschen, die über längere Zeit Medikamente wie zum Beispiel Antihypertonika (gegen Bluthochdruck) oder Antibiotika (gegen Infektionen) einnehmen oder Trend-Diäten (“FatBurner”) folgen – beides kann einen Vitamin-D-Mangel verursachen bzw. verstärken.
Angesichts dieser vielen Risikogruppen ist es nicht verwunderlich, dass zumindest im Winter nach Expertenschätzung 70 bis 80 Prozent der Deutschen eine moderate bis ausgeprägte D‑Unterversorgung aufweisen. Unzählige Studien belegen, dass ein klinischer Vitamin-D-Mangel mit den verschiedensten Krankheiten assoziiert ist. Als Erstes fiel im 19. Jahrhundert die Rachitis bei im Bergbau unter Tage arbeitenden Kindern auf. Unstreitig ist die essenzielle Bedeutung von Vitamin D für die Knochengesundheit und wissenschaftlich gut belegt ist die schützende Wirkung für unser Immunsystem und bei Atemwegserkrankungen. Ich vermute, dass die gehäuften grippalen Infekte im Winter vor allem auch dem saisonalen epidemischen Vitamin-D-Mangel geschuldet sind.
Dass über Vitamin D und dessen Dosierung überhaupt – häufig mehr emotional als rational – gestritten wird, liegt daran, dass die Regulation im Organismus äußerst komplex und noch nicht abschließend erforscht ist. Dies macht die eigentlich notwendigen Interventionsstudien, bei denen gezielt die Auswirkungen einer Einnahme von Vitamin D auf bestimmte Krankheitsrisiken untersucht werden, methodisch so schwierig. Das mit der Nahrung aufgenommene oder mit Hilfe der Sonne produzierte Vitamin D wird im Organismus in mehreren Schritten und unter Einfluss vieler Cofaktoren über das im Blut zirkulierende 25-OH‑D (Calcidiol) zur hormonähnlichen Substanz 1,25‑D (Calcitriol) umgebaut. Diese steuert diverse Prozesse in den Zellen und kontrolliert zahlreiche Gene – und ist somit von großer systemischer Bedeutung in unserem Körper.
Es gibt aus meiner Sicht also gute Gründe, auf einen ausreichenden Vitamin-D-Spiegel zu achten, wobei in der Praxis Folgendes wichtig ist:
• Zur Bestimmung des Vitamin-D-Status dient die Labor-Messung des 25-OH-D-Spiegels, da ausreichend hohe Werte Voraussetzung dafür sind, dass genügend 1,25‑D gebildet werden kann. Wenn es Anhaltspunkte für eine Störung körpereigener Regulationsmechanismen gibt und zum Beispiel trotz hoher Sonnenexposition der 25-OH-D-Spiegel niedrig bleibt, sollten weitere Parameter untersucht werden.
• Vitamin-D-Zielwerte und ‑Einnahmedosis sind umstritten. Der anzustrebende Blutwert für 25-OH‑D liegt nach derzeitigem Wissensstand bei 30 bis 60 ng/ml bzw. 30 bis 60 μg/L bzw. 75 bis 150 nmol/L (ein und derselbe Zielkorridor wird von den Laboren in unterschiedlichen Maßeinheiten angegeben, was zu Verwirrung führen kann). Ich rate sogar zu einem Vitamin-D-Mindestwert von 40 ng/ml bzw. 100 nmol/L.
• Die tägliche Einnahme ist vorteilhafter als eine Intervalltherapie, bis maximal 4.000 IE bzw. 100 μg pro Tag sind laut Bundesamt für Risikobewertung unbedenklich. Als Erhaltungsdosis reichen in der Regel 1.000 bis 2.000 IE pro Tag. Ich persönlich bevorzuge Öl-Suspensionen gegenüber Tabletten.
• Vitamin D ist fettlöslich. Deshalb empfiehlt sich die Einnahme mit einer fetthaltigen Mahlzeit.
• Abzuraten ist von einer unkontrollierten Einnahme ohne Laborüberprüfung (Laborkosten zirka 30 Euro) und von Vitamin D in Megadosen, da 25-OH-D-Blutspiegel von mehr als 60 ng/ml bzw. 150 nmol/L sehr wahrscheinlich auf Dauer nachteilige Gesundheitseffekte haben. Wie bei allen Wirksubstanzen ist die richtige Menge entscheidend.
• Parallel zur Supplementierung sollten eine maßvolle Steigerung der Sonnenlicht-Exposition sowie mehr körperliche Aktivitäten im Freien erfolgen. Auch Tageslichtlampen mit UVB-Licht können im Winter die körpereigene Vitamin-D-Bildung unterstützen.